Eröffnung der Ausstellung Martin Gensbaur, Ansichtssache Kulturforum Dießen, 25.4.2008

Liebe Gäste, liebe Freunde,

Zunächst einmal möchte ich denen herzlich danken, die mir dieses Ausstellungsprojekt ermöglichen: Den beiden Hausherren Verena und Jürgen Bahls und Dir liebe Annunciata. Aus Deiner Anfrage ob ich dazu bereit sei an einer gemeinsamen Ausstellung in diesen Räumen zum Thema "das kleine Format" teilzunehmen hat sich der Plan auch zu einer Einzelausstellung im Blauen Haus entwickelt.

Ein Maler kann und soll nicht sein eigener Interpret sein. Gedanken über meine bildnerische Arbeit können Sie in meinen Katalogen oder auch im Internet nachlesen. Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen - vielleicht am Montag um 20 Uhr, wenn in der Veranstaltung "Goys letzte Montage" eine öffentliche Gesprächsrunde im Kultcafè stattfinden wird.

Ich möchte Ihrem Rundgang durch meine Ausstellung Hinweise zur Auswahl der Bilder, zum Konzept der Hängung und nicht zuletzt zum Titel der Ausstellung "Ansichtssache" mit auf den Weg geben. Die Ausstellung beginnt nebenan im Cafè - und das ist durchaus eine Herausforderung für einen Maler - auf  knallrot lackierten Wänden. Für diejenigen unter Ihnen, die die Ausstellungskonzepte im Münchner Lenbachhaus verfolgen, wird ein Bild auf bunten Wänden kein Schock mehr sein. Meine im Farbton selbst eher verhaltenen Bilder sind jedoch zunächst erst einmal schockiert. Ich habe mich für zwei blaue Arbeiten entschieden, mit einer deutlichen schwarzen Schattenfuge gerahmt, damit sie sich in dieser ungewohnten Umgebung einigermaßen behaupten können.

Das ausgelassene Plastikplanschbecken aus dem Jahre 1997 steht einer Ansicht des Walchensees, die ich im vergangenen Herbst in Urfeld auf dem ehemaligen Anwesen der Familie Corinth gemalt habe, gegenüber. 1997 haben wir hier in der Diessener Hofmark unser kleines Haus gekauft. Das große Quadrat entstand noch im Garten in Issing und gilt auch als ein Abschied. Wer meine Malerei kennt, weiß, dass ich immer in Bildserien denke und mich schon aus diesem Grunde nur schwer von einem meiner Bilder trenne. Ich arbeitete in den 1990er - Jahren an Baumstudien und an Bildern mit zum Trocknen aufgehängten Wäschestücken. Beides ist in dem hier gezeigten Bild noch aktuell.

Das Walchenseebild mag der eine oder andere als Ausrutscher betrachten. Das Motiv ist fremd. Ich besitze seit meiner Jugend eine Sammlung von Postkarten mit Walchenseebildern von Lovis Corinth. Mein eigenes Bild unter die altbekannten Ansichtskarten zu mischen, das kunsthistorisch besetzte Motiv, Corinths Ansicht mit eigenen Augen zu sehen und zu malen erscheint sicher manchem meiner Zeitgenossen völlig absurd und bewegt sich sicherlich weit weg von allen Trends. Wenn ich mich aber mehrere Wochen an diesem Originalschauplatz europäischer Kunstgeschichte herumschleiche, so bereichert das nicht nur meine Postkartensammlung, sondern auch und vor allem mein Sehen. Und damit wäre ich beim Thema der Ausstellung "Ansichtssache" und bei einem Anliegen meiner Malerei. Wenn es mir mit meinen bescheidenen Bildern gelänge, nicht nur die Sammlung Ihrer Ansichtskarten, sondern auch Ihren Blick auf die Dinge zu bereichern, was könnte mir als Maler Besseres passieren? 

Die Ausstellung hier im Raum beginnt mit der druckgraphischen Edition Tirol an der Eingangswand. Schon bei unserem ersten Telefonat, bei dem die Idee zur Ausstellung geboren wurde, äußerte ich den Wunsch zu diesem Anlass auf meiner Radierpresse eine Sonderedition zu drucken. Es könnte leicht sein, dass sich der eine oder andere unter dem Titel Tirol etwas völlig anderes vorstellt. Meine Graphiken zu dem Thema sind nun mal Ansichtssache.

Die aufgeblasene Sporthalle aus grünem Plastik ist keine Erfindung. Sie steht seit ein paar Jahren genau so in der Landschaft. Ich fahre jedes Mal daran vorbei, wenn ich von unserer Ferienwohnung aus ans Meer fahre. Ein verwandtes Gebilde habe ich in diesem Frühjahr in Follonica entdeckt, auf dem Gelände des Tennisclubs. Ebenfalls in Follonica steht der Rundbau einer ehemaligen Kläranlage. Leider haben nicht alle drei Bilder auf meine Einladungskarten gepasst. Aber alle drei Arbeiten gemeinsam könnten für den Titel meiner Ausstellung stehen: Ansichtssache.

Meine Bilder entstehen vor Ort und das hat Konsequenzen: Üblicherweise male ich im Standardformat 54 x 65. Das hat sich bewährt. Daneben gibt es winzige Aquarelle in kleinen Büchern, die kaum jemals jemand sieht, Fresken auf Rabbitz, die natürlich nicht vor Ort entstehen und Ölbilder auf mit Leinwand kaschierten Malplatten, an denen ich manchmal länger herumtüftle als an den größeren Arbeiten. Ich habe in der Ausstellung Paare zusammengefügt, Bildserien, oft auch Bildideen: Gewächshäuser, Heuballen in Plastikfolie, Baustellen mit rotem Plastikzaun oder auch die ehemalige Baustelle der Tiefbohrung hier in Diessen. Sie werden vielleicht anderer Ansicht sein. Für mich hat das alles etwas, was zum Malen auffordert.

An der Stirnwand  sehen Sie zwei Bilder der Serie "Piazze d`Italia", die ich vor

knapp drei Jahren im Landsberger Stadtmuseum gezeigt habe. Die Abbildungen im Katalog oder auch auf Postkarten verkleinern und verharmlosen das Bildmotiv. Meine Formate sind in der Regel relativ klein. Es geht in meiner Malerei aber durchaus auch einmal groß, was einen ziemlichen logistischen Aufwand bedeutet, da auch solche Bilder vor Ort entstehen und unser Auto ebenfalls "relativ klein" ist. "Man muss die Dinge groß sehen". Das war ein Satz von Franz Marc. Ich würde ihn gerne ergänzen: man muss die Dinge groß sehen, nicht unbedingt groß malen.

Die Wand gegenüber zeigt drei verschiedene Bildreihen:  Die erste Reihe mit fünf Arbeiten  könnte man unter dem Begriff "provisorische Architektur" zusammenfassen. Sie haben es sicher schon erkannt. Dazu gehört für mich auch die Erdfunkstelle in Raisting.

Drei Palazzi daneben, so edel nennt man den sozialen Wohnungsbau in Italien, zwei davon aus dem letzten Jahr, zeigen, dass das Thema der Piazze d`Italia in mir weiter arbeitet.

Die vier Arbeiten ganz rechts aus dem vergangenen Jahr entfernen sich von der Nahsicht der Palazzi zur Weitsicht, lassen sich mit dem traditionellen Begriff einer tiefenräumlich gesehenen Landschaft, eines Prospekts wesentlich besser vereinen. Es bleibt freilich auch in diesen Bildern fraglich ob sie als Postkartenmotiv, oder sagen wir Ansichtskarten funktionieren – denken Sie zum Vergleich ruhig noch einmal an den Walchensee! Was stimmt also nicht an meinen Ansichten?

Ich versichere Ihnen, dass ich alles, was sie hier sehen, selbst so gesehen habe. Ich habe nichts erfunden. Das Wort "Erfindung" fiel mir erst vor kurzem in die Hände in einem Artikel zum Erstlingswerk des Autors Martin Walser. Er schreibt in seiner Einleitung zu "Ehen in Phillipsburg" einen Satz, der auch für mich gelten könnte: „Der Roman enthält nicht ein einziges Porträt irgendeines Zeitgenossen, aber es ist die Hoffnung des Verfassers, er sei Zeitgenosse genug, dass seine von der Wirklichkeit ermöglichten Erfindungen den oder jenen wie eigene Erfahrungen anmuten." Nach über 50 Jahren sind Walsers Worte für mich ganz aktuell. Vielleicht erlebt ja der eine oder andere Zeitgenosse in diesen Räumen ein Déjà Vu. Betrachten sie die Bilder nicht als realistische Abbildungen der Wirklichkeit sondern als "Erfindungen, die von der Wirklichkeit ermöglicht" sind.

Vielen Dank!